Die Liebe ist ein Tausendsassa

Die Liebe ist ein Tausendsassa

Wir sprachen mit Futurologe Max Thinius über das Wesen der Liebe und ob man die Zukunft mit so einem unbeständigen Wesenhaften überhaupt gestalten kann.

Lieber Max, den romantischen Gedanken der erfüllten Liebe gibt es ja erst seit dem 18ten Jahrhundert und es scheint so, als würden alle unter diesem damals erfundenen Idealbild einer „Liebesbeziehung“ leiden. Ist diese romantische Liebe in unserer Zukunft überhaupt noch lebbar?
Wir haben in der Vergangenheit zwei Dinge vermischt – nämlich Liebe und Beziehung. Dabei haben wir als Erstes verlernt uns selbst zu lieben – und zweitens auch andere. Unseren Fokus legen wir nämlich auf idealtypische Beziehungen, wie sie die Gesellschaft erwartet. Wir lieben also nicht aus uns selbst heraus, sondern aus einem Fremdbild. Das kann in der Regel nicht gutgehen, da wir uns quasi jeden Tag selbst enttäuschen müssen, wenn wir mit unserer Liebe immer ein Idealbild erfüllt sehen wollen.

Durch was sind diese Idealbilder oder Fremdbilder entstanden?
Diese Idealbilder sind entstanden, weil wir unser ganzes Leben, unseren Alltag, auch viele ethische Werte, einer industriellen Struktur untergeordnet haben. Wir haben versucht, das zu erfüllen, was diese Struktur und damit die Gesellschaft von uns erwartet, statt dass wir selbst eine Vision für unser Leben entwickelt hätten.
Wir haben für die Industrialisierung gelernt, auf alles zu verzichten. Auf Schlaf, gutes Essen, auf Gesellschaft, Familie und Natur. Und jetzt haben Menschen gerne mal alles, aber eben nicht die Liebe.

Es ist ein bisschen so, wie im englischen Königshaus – da kann man nicht einfach jemanden heiraten, der womöglich nicht zum Stand passt und nicht gut für die Familie ist. Alles wird erst in seiner Wirkung auf die Aussenwelt hin überprüft. Man selbst ist heute ebenfalls in festen Strukturen verhaftet, hat seine festen Zeitpläne und Ziele. Auch auf den ganzen Veranstaltungen, die man besucht, mit den Begegnungen, die man wahrnimmt, geht es mehr darum, dass man selbst geliebt werden will. Das tut dort aber keiner. Jeder interessiert sich dort nur für sich selbst und dafür, wie er auf andere wirkt. Das hat in dem Moment nichts mit Selbstliebe zu tun. Und die anderen schauen nur, was sie davon haben, wenn sie sich mit einem zeigen. Wir treffen uns zu selten mit Menschen, von denen man eben nichts hat, mit denen es einfach nur schön ist. Wir haben das "là pour là" verlernt.

Lass uns doch nochmal über die Romantisierung sprechen.
Ich glaube, dass wir gerade in Beziehungen wieder lernen müssen romantisch aufeinander zuzugehen. Ich denke, es wird sich heute viel zu eilig begegnet und das Gegenüber wird in kürzester Zeit abgeklopft. Dieses sich aneinander Gewöhnen, das aufeinander Einlassen, Spüren und Kennenlernen, fin-
det überhaupt nicht mehr statt. Und ich glaube, dass wir das dringend wieder brauchen, um die wirklichen Menschen, die dahinter stecken, erfahren zu können.

Wir müssen die gesamte Gesellschaft entschleunigen und das soziale Leben muss wieder mehr Beachtung finden. Denn das würde dazu führen, dass wir die Welt überhaupt wieder wahrnehmen können.

Das gesamte Interview in der neuen Ausgabe des HARBOR Magazins 2/21 LOVE

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