Besonders authentisch, geradlinig und über die Maßen empathisch ist auch eine der größten deutschen Schauspielerinnen: Anja Kling. Warum das so ist, wie sie überhaupt zu ihrem Beruf gefunden hat und was sie so sehr von anderen Schauspielern unterscheidet, durften wir in einem persönlichen Gespräch erfahren.
Anja Kling. Bei Interviews mit derart renommierten Stars ist es gewöhnlich besser, schon einmal ein paar Stunden Wartezeit einzurechnen. Bis das Make-up sitzt und die Frisur, er oder sie das passende Getränk der Wahl zu sich genommen hat oder das, wie auch immer geartete Häppchen gegessen. In der Zwischenzeit reihen sich Kamerateams in den Vorräumen der meist großen Luxushotels aneinander, treten dabei den ebenso zahlreichen Redakteuren und Journalisten schon mal auf die Füße, es herrscht eine unausgesprochene Hackordnung, Zeitpläne werden strengstens im Vorfeld getaktet, jeder hält sich an sie. Der Star meistens nicht. Das geschäftige Warten der Medien auf Interviews. Doch bei Anja Kling war alles anders. Unkomplizierter Telefontermin, auf die Minute pünktlich. Nettes, ehrliches und authentisches Gespräch. Ein Star zum Anfassen.
Liebe Frau Kling, Filmschaffende, Drehbuchautoren, Regisseure, Schauspieler, haben manchmal auch den Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Haben Sie jemals versucht die Welt zu verbessern?
Natürlich würde ich die Welt gerne zu einem besseren Ort machen aber mir ist bewusst, dass ich nur einen sehr kleinen Teil dazu beitragen kann. Sich um mehr Menschlichkeit zu bemühen, ist dabei stets mein Ansinnen.
Ich wünschte mir, dass wir alle freundlicher und respektvoller miteinander umgingen. Das fängt schon im Kleinen an, wie zum Beispiel im Straßenverkehr. Wenn jemand einen Fehler macht, es aber Gott sei Dank nicht zu einem Unfall gekommen ist, muss an jeder Ecke jemand stehen, der den Kopf schüttelt, einen Vogel zeigt oder anfängt zu meckern. Ich frage mich dann immer, wem das nutzen soll? Viel besser wäre es doch, denjenigen zu beruhigen, denn er hat sich sicher selbst fürchterlich erschrocken. Und das lässt sich natürlich auch auf das große Ganze übertragen. Eigentlich verfügen wir doch über alle Voraussetzungen miteinander ein glückliches Leben führen zu können. Machtpolitische Gründe oder unterschiedliche Glaubensrichtungen sind für mich keine Rechtfertigung für ein zerstörerisches und Leid bringendes Handeln.
Ich stelle mir manchmal vor, dass wir nicht alleine sind im Universum und eine andere Spezies uns längst entdeckt hat. Sie machen sich nur nicht bemerkbar, weil sie uns beobachtet haben und uns wahrscheinlich einfach nicht mögen. Sie denken: „Diese Menschen sind merkwürdig. Sie machen ihren eigenen Planeten kaputt, führen Kriege und bringen sich gegenseitig um. Also lasst uns einfach schnell wieder abhauen, bevor sie uns entdecken.“
War bei Ihnen persönlich der Weg der Schauspielerin vorgezeichnet, dadurch dass Sie aus einer Familie mit filmischem Hintergrund stammen?
Ich komme nicht aus einer Film-Familie. Mein Vater hat Dokumentarfilme produziert, das hat mit Schauspiel wenig zu tun. Und wir haben uns auch nicht ständig nur in Filmkreisen bewegt. Insofern war ich völlig frei bei meinem Berufswunsch. Lange Zeit habe ich davon geträumt, Kinderärztin zu werden. In die Schauspielerei bin ich dann eher zufällig reingerutscht.
Ist das demnach eine Berufung gewesen?
Offensichtlich (lacht). Ich bin ja der festen Überzeugung, dass jeder Mensch mit mindestens einem Talent geboren wird. Manche verfügen sogar über zwei, drei oder noch mehr Talente. Die ganze Kunst im Leben ist es, herauszufinden, was dieses Talent ist. Und wenn man Spaß an seinem Talent hat und damit dann auch noch sein Geld verdient, kann man sich sehr glücklich schätzen.
Ich selbst habe mir als Kind niemals ein schauspielerisches Talent zugeschrieben. Ich war ein ziemlich schüchternes Mädchen und hatte schon Angst, wenn ich vor der Klasse ein Gedicht aufsagen musste. Ich sah mich, wie gesagt, eher im medizinischen Bereich. Die Vorstellung einen helfenden Beruf zu haben und in der Forschung bahnbrechende Erfolge zu erreichen, hat mich immer sehr gereizt. Auch heute noch denke ich, dass ich als Ärztin auch glücklich hätte werden können. Aber hätte, hätte – ich bin Schauspielerin geworden und sehr zufrieden mit meinem Beruf.
Ist es nicht ungemein schwierig, vor allem als junger Mensch, sich in andere Charaktere zu versetzen? Das erfordert doch sehr viel Weitblick und Empathie.
Ich musste mich ja nicht als junger Mensch in einen alten Menschen versetzen. Der Zugang zur Figur war immer altersgemäß. Was möglicherweise schwierig ist, ist der Umstand, dass die zu verkörpernde Figur ja auch mit Macken behaftet ist und Fehler macht, die man aber nicht wissend vor sich her tragen darf. Das heißt, um authentisch zu bleiben, hat meine Figur für mich zunächst immer Recht in ihrem Handeln. Den Weitblick hat dann hoffentlich der Regisseur, die Regisseurin. Er oder sie muss den Bogen spannen und den Schauspieler leiten, darf die Chronologie nicht aus den Augen verlieren und muss den Überblick behalten. Wer für mich als junge Schauspielerin einer der größten Mentoren am Set war, war Hansjörg Felmy. Er hat mich unter seine freundschaftlich-väterlichen Schauspielflügel genommen. Wie er sich am Set bewegt hat, wie er mit dem Team und Kollegen umgegangen ist und wie er sich seiner Figur genähert hat, all das hat mir in unserer langen gemeinsamen Drehzeit extrem imponiert. Und es hat mich ganz sicher auch geprägt. Hansjörg Felmy war ein großes Vorbild für mich. Ich habe natürlich auch andere große Schauspieler getroffen, die so gar nicht waren wie er. Das war dann auch eine Erfahrung (lacht).
Gab es niemals Angebote aus Hollywood oder besser gesagt, wären Sie da auch gerne hingegangen?
Tatsächlich fand mich Dustin Hoffman mal ganz spannend als Schauspielerin. Das war nach dem Film „Von Hölle zu Hölle“, der in Los Angeles seine Premiere feierte und in dem ich die Hauptrolle spielte. Aber da war ich Anfang zwanzig. Ich frage mich heute manchmal, wie blöd ich damals wohl gewesen sein muss, denn ich antwortete in einem Fernsehinterview seinerzeit, dass ich nicht nach Hollywood gehen wolle, weil ich zu "heimatverbunden" wäre. Allein dieses Wort "heimatverbunden" finde ich heute wirklich lustig für eine Schauspielerin. Aber kurz nach der Wende war eben schon München für mich so weit weg wie der Mond. Das heißt, Hollywood war viel zu abstrakt. Soweit konnte ich nicht einmal denken.
Wie war denn eigentlich die Auftragslage während der
Coronazeit? Haben Sie arbeiten können?
Ich kann mich wirklich nicht beschweren. Wir Filmleute durften unter etwas erschwerten Bedingungen schnell wieder arbeiten, im Gegensatz zu so vielen aus der Unterhaltungs-und Veranstaltungsbranche. Letztendlich war ich vielleicht zwei bis drei Monate zu Hause. Privilegiert, da ich einen Garten habe und so immer raus konnte. Ich habe nicht als alleinstehende Mutter von drei schulpflichtigen Kindern mit einem Computer und einem Drucker in einer Wohnung ohne Balkon das Home-Schooling aushalten müssen. Insofern darf ich mich wirklich nicht beschweren.
Sie haben ja bereits ganze Listen an Filmen in Ihrer Laufbahn gedreht. Was war denn Ihr Lieblingsprojekt?
Hier antworte ich das, was alle Schauspieler antworten würden: Es ist immer das Projekt, das man gerade macht. Aber wenn ich mir die lange Liste der Filme, die ich in den letzten 35 Jahren gedreht habe, ansehe, dann ist der Mehrteiler „Wir sind das Volk" schon einer der bedeutendsten für mich. Für diese Rolle habe ich wirklich viele Preise bekommen. Aber auch Bully Herbigs "Traumschiff Surprise" war nicht nur ein wundervoller sondern auch wichtiger Film für mich. Erst durch ihn hat man mir komödiantische Rollen zugetraut und mich dementsprechend besetzt. Aus der jüngeren Vergangenheit fallen mir noch die Netflix-Serie"Freud" von Marvin Kren und Jan Georg Schüttes Improvisationsserie "Das Begräbnis" ein. Letzteres war eine ganz besondere und neue Erfahrung für mich, da das Improvisieren ohne Abbrüche und Wiederholungen so gar nicht den üblichen Drehgewohnheiten entspricht. Normalerweise dreht man einen Fernsehfilm mit ein oder zwei Kameras in etwa fünf Wochen, hier waren wir mit 50 Kameras nach zehn Stunden fertig. Das war wirklich unglaublich.
Kommen wir doch mal zum Sport. Wer so viel leistet, muss sich ja auch immer fit halten. Machen Sie viel Sport?
Ich mache regelmäßig Sport. Nicht weil ich sportbegeistert bin, sondern weil ich mich im Nachgang freue, dass ich wieder Sport gemacht habe. Und ich mache nicht wirklich viel Sport, nur alle zwei Tage eine halbe Stunde Workout, das muss genügen. Dazu spiele ich noch Tennis. Tennis ist toll und hat etwas Meditatives. Hier schaffe ich es, mich eine Stunde lang auf einen gelben Ball zu konzentrieren und alles andere zu vergessen.
Und Sie fahren E-Bike?
E-Bikes haben unser Leben tatsächlich bereichert. Man kann so viel öfter auf das Auto verzichten. Und dazu gibt es den positiven Effekt auch noch sportlich aktiv zu sein. Es bleibt einem ja selbst überlassen, ob man tatsächlich bei jedem kleinen Anstieg die motorische Unterstützung in Anspruch nimmt.
Neulich haben mein Mann und ich eine Riesentour durch das Havelland mit abschließender Umrundung des Schwielowsees gemacht. Niemals hätte ich diese Strecke mit einem normalen Rad bewältigt. Aber mit dem E-Bike hatten wir ungeheuren Spaß dabei. Auch meine Kinder fahren E-Bike. Mein Sohn studiert an der Uni Potsdam und fährt zu diesem Zweck täglich durch den Schlosspark Sanssouci. Ich war überwältigt von der Schönheit dieses Parks an dieser Stelle. Dort stehen Bäume und andere Pflanzen, wie ich sie noch sie gesehen habe. Und so hat mein Großer mit seinem E-Bike jeden Tag dieses besondere Erlebnis.
Um so weit zu kommen im Leben, wie Sie es geschafft haben, braucht es eigentlich eine ganz große Vision, heißt es. Hatten Sie die, immer?
Ich befürchte, ich hatte nie die ganz große Vision. Ich habe viel Verschiedenes angefangen zu studieren und es dann doch wieder abgebrochen. Bis ich mich schlussendlich für die Schauspielerei entschieden habe. Von da an habe ich einfach immer versucht, mich weiterzuentwickeln, anspruchsvollere Rollen zu spielen und die Qualität der Bücher immer gründlicher zu prüfen. Dabei hatte ich auf meinem Weg bisher auch immer eine Menge Glück, traf zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Regisseur oder das richtige Buch. Ich bin also sehr dankbar und mir meines Privilegs voll bewusst.
Text und Interview: Elke Bauer
Foto: Markus Hofmann