„Wer nur ans Geldverdienen denkt, wird meistens kein Geld verdienen,“ erfahre ich von Walter Gunz, dem mehr als erfolgreichen Gründer der MediaMarkt- und Saturn-Kette, der auf der Liste der Vermögendsten seit Jahrzehnten einen festen Platz einnimmt, was ihm persönlich völlig egal ist. Seine Ansicht: „Ein Dach über dem Kopf, ein gutes Essen ab und zu, ein schöner Urlaub – was braucht der Mensch noch mehr? Wenn also die Grundbedürfnisse erfüllt sind, wird man entgegen mancher Behauptung auch mit viel mehr Geld nicht glücklicher.“ Schauen wir also mal, was er über die Liebe sagt!
Er sagt über sich selbst, dass er schon "Fortune" gehabt hat, all das zu erreichen, was er nunmal erreicht hat. Als er mit lediglich 20.000, damals noch Mark, ein Unternehmen gegründet hatte, dass sich in kürzester Zeit zu einem weltweiten Milliardenunternehmen ausgewachsen hat und das nach wie vor weltweit Tragfähigkeit besitzt. Als er sich von seinem selbst verdienten Geld, ohne Zutun irgendwelcher Elternteile, einen maurischen Riad in Marrakesch errichten durfte, ein herrschaftliches Anwesen am Tegernsee oder jetzt ein attraktives Refugium im Münchner Stadtteil Bogenhausen. Sich nach einem mutigen Aufbau des Unternehmens jeden Autotraum erfüllen durfte, jeden Genuss, jeden Herzenswunsch. Alles.
Vielleicht wurde der Grundstein zur, wie er es nennt, "Fortune", des studierten Religionsphilosophen bereits damals gelegt, als er im zarten Alter von fünf Jahren bei seinem ersten Yogimeister lernen durfte. Vielleicht war sie ihm aber auch schon in die Wiege gelegt, also angeboren. Vorherbestimmt? Oder war sie doch hart erarbeitet? Vielleicht ein wenig von allem, was sich dann zu einem bahnbrechenden Erfolg ausgewachsen hat.
Wenn Walter Gunz von Inhalten des Lebens spricht, schließt er die Augen und ist ganz dem Himmel zugewandt. Unterbrochen wird diese Haltung, wenn er von unternehmerischen Dingen spricht. Denn er ist neben seinem feingeistigen Wesen ein durchaus zupackender, direkter, kraftvoller und empathischer Mensch, der genau weiß von was er spricht, so als hätte er es schon hundertmal gedacht. Erfolg ist eben Charaktersache. Ein wenig Unruhe, permanente Neugier und Tatendrang gehören dazu. Er ist über die Maßen gebildet, erfahren und belesen, nicht wirklich aus der Reserve zu locken, ein Mensch, der andere so annimmt, wie sie sind und vermeidet zu werten. Die Freiheit des einzelnen zu wahren und zu entwickeln, sieht er als eine seiner großen Aufgaben.
Hier sitze ich also mit ihm, vor mit liebevoll von Hand bemalten Wänden und blattvergoldeten Lampen eines italienischen Herstellers, um auch Italien und das Kunsthandwerk zu unterstützen. Und wir sprechen über die Liebe und alles was sie so mit sich bringt. Breakfast at Walter Gunz.
Fangen wir doch mit dem Begriff der Wertschätzung an. Heute mehr denn je in aller Munde. Aber sie klappt wohl nicht immer wirklich gut?
“Wäre das Auge nicht sonnenhaft, es könnte die Sonne nicht schauen.“, hat Goethe gesagt. Es bedarf immer einer Affinität zu dem, was man erkennen kann, um es zu verstehen. Wenn man das Wesen nicht erkennen kann, wird man es auch nicht wertschätzen. Wenn man es nicht wertschätzen kann, kann man es auch nicht interpretieren. Aber neben der Liebe als der Grundlage dieser Schöpfung, ist das Schöpferische, das Kreative das, was den Menschen eigentlich in seinem Menschsein ausmacht. Da steht er in der Wahl zwischen Gut und Böse, zwischen Hell und Dunkel und muss deshalb in dem, was er tut, wirklich gut sein und das lieben, was er tut. Auch der Geschäftsmann muss das lieben, was er tut – und jede Arbeit hat auch ihr Mühsal. Jede Arbeit ist nicht nur ein Zuckerschlecken. Zu lieben heißt ja auch, die Verantwortung zu übernehmen. Und in dem Wort Verantwortung steckt das Wort Antwort, das heißt zwischen dem Ich und Du bewegt sich etwas.
So wie Martin Buber* gesagt hat: Im Du begegnet mir mein Ich?
Ja, in der Entäußerung, indem ich ganz versunken bin, in das, was ich tue, da bin ich ganz weg von mir. Im Buber’schen Sinne bedeutet das, dass man ganz weg ist von sich, weil man beim anderen ist. Die ganzen Ego-Gedanken, dass mir einer zusehen könnte, bei dem was ich tue und das bewerten könnte, entfallen dann. Ich bin dann in der Hingabe, in der Liebe. Die Hingabe an den anderen, die Hingabe an die Sache, setzt meine persönliche Aufgabe voraus. Ich muss also mein Ego vergessen, in dem Moment. Wie ein Kind, das mit einer Lokomotive am Boden spielt. In diesem Spiel ist das Kind selbst zur Lokomotive geworden. Es ist ganz bei sich, obwohl es ganz von sich weg ist. Es ist also die Paradoxie der Liebe, bei sich zu sein, obwohl man sich weg gibt. Es ist die Verschmelzung von Subjekt und Objekt. Sie ist da, wo die Einheit wieder hergestellt wird. Und es geht darum die Einheit zuzulassen, nicht sie zu kreieren.
Warum tut man sich so schwer mit der Hingabe?
Ich glaube, weil man so viel denkt. Und das Ego ist natürlich sehr groß geworden, heute. Man macht Dinge nur noch, um etwas zu erreichen. Da ist schon alles verdorben dann. Es darf der materielle Nutzen nicht im Vordergrund stehen.
Ganz wichtig ist auch, den Menschen zu erkennen und ihm dann zu vertrauen. Vertrauen beflügelt den Menschen zu dem, was er wirklich kann. Auch in partnerschaftlicher Hinsicht findet Vertrauen sehr selten statt. Es wird hier viel zu wenig gesprochen. Man bestätigt den anderen zu wenig. Aber Zutrauen und Vertrauen sind ganz wesentlich, um den anderen das werden zu lassen, was er eigentlich sein kann. Hier kann man wunderbar ein Orchester als Bild nehmen. Der Dirigent möchte ja aus dem Geiger auch keinen Trompeter machen. In einem Orchester spielt jeder sein Instrument und jeder soll in seiner Rolle erfolgreich sein können. Deshalb waren wir bei MediaMarkt so erfolgreich, weil wir die einzelnen Menschen in ihren Neigungen gefördert haben. Die tollen Mitarbeiter, die ich bei MediaMarkt hatte, sind erst zu diesen tollen Menschen geworden, weil sie die Freiheit hatten, dazu zu werden und das zu tun, was ihre Herzensangelegenheit war. Dann sind diese über sich hinausgewachsen. Mit dem Zutrauen wächst einem das dann auch zu, was man sich zutraut. Wobei hier schon Selbstreflexion nötig ist und man sich selbst richtig einschätzen können muss.
Ein schönes Beispiel hierzu: Ich bin ja kein besonderer Anhänger von moderner Kunst, aber ich habe einmal einen Beitrag über Picasso gesehen. Und da saß er vor einer weißen Leinwand und hat überlegt. Dann hat er einen Pinselstrich gemalt, war damit unzufrieden und hat diesen Strich wieder weggewischt. Dann hat er einen neuen Strich hingemalt, diesen wieder angesehen und auch den wieder weggewischt. Und wieder hat er einen Strich gemalt, mit dem war er dann zufrieden, der durfte bleiben. Für mich war unglaublich interessant zu sehen, wie selbst ein Meister sich immer wieder korrigieren und verbessern muss. Er überprüft, was er tut. Bei allem Zutrauen – er war ja schließlich Picasso, also anerkannt. Für mich ist die Quintessenz, dass man auch das, was man mit Liebe und mit Hingabe tut, noch mal anschaut und schaut, ob es wirklich stimmig ist.
Jeder Mensch hat Zweifel. Aber, um nicht dauernd zu zweifeln, braucht es den Akt Vertrauen zu schenken. Dort wo es geschenkt wird und auf fruchtbaren Boden fällt, ist es etwas Wunderschönes und ohne Vertrauen geschieht nichts wirklich Gutes. Es kann missbraucht werden, was aber nicht zu Verbitterung führen darf.
Was hältst du von der Annahme, dass Liebe, um lebendig zu sein, auch diese ganzen negativen Anteile besitzen muss?
Das gilt für diese Schöpfung. Für diese Welt. Es gibt ja die Formulierung, dass das Licht im Paradies keinen Schatten wirft. Nur hier auf Erden wirft das Licht einen Schatten, weil das Hier eben eine Welt der Polarität ist. Ich würde es aber anders formulieren: Nicht, dass die Liebe den Hass und die negativen Anteile in sich haben muss, um ganz zu sein, sondern dass sie diese Dinge überwunden haben muss, in dem Moment, in dem sie wirklich stattfindet. Die Dinge die im Sinne der Polarität dagegen stehen, sind natürlich immer da und der Mensch wird immer versucht sein, nicht zu lieben oder fatalistisch zu denken. Insofern gehören diese negativen Anteile dazu, aber nur als Überwundenes, in dem Moment.
Natürlich gehört zu dieser Welt Licht und Schatten. Ein dunkler Raum, in dem keine Lampe brennt, ist dunkel. Eine einzelne Kerze vertreibt aber bereits die Dunkelheit. So verhält sich auch das gut sein und das Lieben. Das andere ist zwar da, aber so wie ein Licht in den Raum tritt, wird der Raum klarer. Es gibt ja keine Kontinuität hier, alles ist im Fließen, in der Bewegung, in der Entwicklung. Es ist also so, dass in dem Moment, in dem das Licht kommt, der Schatten weicht. Man kann demnach immer – indem man sich das bewusst macht – mit der Liebe dagegenhalten. Zum Beispiel indem ich mir bewusst mache, dass ich dem anderen verzeihe.
Was ist Liebe für Dich?
Die Liebe ist insofern ein Gesetz, weil Gott alle Gesetze erlassen hat, wenn man gläubig ist und weil das erste Gesetz, das Gott erlassen hat, nunmal die Liebe ist. Es heißt ja in der Mythologie: Gott hat diese Schöpfung hier geschaffen, damit Liebe möglich ist. Darum hat er den Menschen in die Freiheit genommen, zu entscheiden und ihn nicht, wie einen Engel, a priori gut gemacht. Diese Liebe, zu der der Mensch in der Lage ist, diese Freude an dem anderen, an der Vereinigung, ist hier nur möglich, wenn auch Hass oder Ablehnung möglich sind. Es heißt ja, Gott hat die Polarität erschaffen, damit die Schönheit des wieder eins Werdens erlebt werden kann. Wie bei der Schönheit des Abendrotes oder des Morgenrotes. Hier kann erlebt werden, wie sich zwei Gegensätze – der Tag und die Nacht – begegnen und eins werden. Das ergreift den Menschen deshalb, weil er spürt, hier geschieht etwas ganz Elementares und Besonderes: die Vermählung von Tag und Nacht. Da scheint die Liebe auf. Jeder sehnt sich nach der Erfüllung, nach dem Glück, jeder trägt das in sich. Und so ist jede Form der Liebe immer ein Einswerden mit dem, was man geschaffen hat, mit dem, was einem begegnet. Die Einswerdung ist das Aufgehen der Polarität.
Und woran kann man erkennen, dass Liebe ewig ist?
Man muss es glauben! Wenn es das Relative gibt, muss es in einer Welt der Polarität auch das Absolute geben. Wenn Gott als Substanz essenziell auch die Liebe ist, dann ist Liebe ewig, weil sie die Essenz Gottes ist. Und Gott aus Liebe die Schöpfung geschaffen hat.
Braucht man im Leben einen Partner um glücklich zu sein?
Brauchen? Im Prinzip nein. Es ist natürlich sehr schön, einen Partner zu haben. Weil zu zweit das Glück schöner ist. Glück will geteilt sein. Einen Sonnenuntergang zum Beispiel, genießt man noch besser zu zweit. Es ist also besonders schön, wenn man Glück teilen kann. Aber das ist nicht auf den Partner fixiert. Glücklich ist man, wenn man andere glücklich macht. Im Sinne einer Weitergabe an andere. Glück kann substanziell nur erlebt werden im Teilen. Im Geben und im Nehmen. Professor Weinreb hat immer gesagt, man muss sich bei dem Bettler bedanken, dass man durch ihn die Möglichkeit hat, zu geben. Wenn man diesen Gedanken verinnerlicht, versteht man vielleicht das ganze Leben.
Ist der Sinn einer Partnerschaft folglich den anderen glücklich zu machen? Heute besteht eher die Tendenz zu einem Einfordern.
Das ist keine Liebe. Das ist der Unterschied zwischen Sein und Haben. In dem Sinne, dass ich den anderen zu einem Gegenstand mache, zu einer habbaren Welt und mir diese habbare Welt aneignen möchte. Aber Liebe hat keinen Grund. Die Rose blüht, weil sie blüht. Da gibt es keinen Grund. Die Partnerschaft ist ein Prozess, den man im Sinne einer Hinwendung, einer Passion, erlernen muss.
Entsprechen Partnerschaften nicht mehr den aktuellen Anforderungen?
Man erlebt heute leider immer wieder, dass die Wahl des Brautkleides oder die Veranstaltung einer Hochzeitsfeier wichtiger ist, als der Lebenspartner. Bei manchen ist es auch bereits die dritte oder vierte Ehe. Da fragt man sich schon, wo die Einmaligkeit bleibt. Wir haben uns von alten hierarchischen Vorstellungen ins Gegenteil befreit und jetzt wird das uneingeschränkte „Ja“ nicht mehr gut verstanden.
Die Frage ist nun: bedrohen diese Partnerschaften die persönliche Freiheit?
Die Liebe ist die Hingabe der Freiheit. Ich habe diese von Gott geschenkte Freiheit, mich für etwas oder einen Menschen zu entscheiden. Man selbst ist also in seiner Freiheit nicht bedroht, sehr wohl bedroht sind die Harmonie und die Sinnfuge, wenn das Wesentliche der Liebe nicht da ist. Wir verlieren so den Sinn.
Man wird beliebig.
Die Beliebigkeit der modernen Welt, verursacht durch das Internet und die Sinnflut von Ideen und Möglichkeiten verführen dazu, sich immer noch eine weitere Optimierung vorzustellen. Wenn man stets darüber nachdenkt, ob es jemanden gibt, der vielleicht noch besser oder toller ist, dann entsteht überhaupt nie eine Liebe. Das Sakrament der Ehe ist das Unauflösliche. Kein bösartiges Gesetz, das sich irgendwelche Kirchenleute ausgedacht haben. Ein Synonym für die Unauflöslichkeit der Liebe Gottes zum Menschen.
Wieso ist es so schwierig zwei Menschen, mehrere Menschen oder sogar 80 Millionen Menschen und mehr, in Liebe zu vereinen?
Das liegt in erster Linie an der Art, wie heute geführt wird. Weil die Führenden keine Vorbilder sind. Ghandi war ein Vorbild, Jesus war ein Vorbild. Es gab immer wieder Menschen, zu denen die anderen mit Liebe aufgeschaut haben. Warum haben mich meine Mitarbeiter geliebt? Ich denke, aus einem ganz einfachen Grund – weil ich sie auch geliebt habe. Weil es mir um deren Wohlergehen ging. Zur Liebe gehört eben auch Verantwortung. Verantwortung, dem anderen etwas Gutes tun zu wollen. Aber Fehler die gemacht werden, gehören auch zum Leben dazu.
Meinst Du das wäre grundsätzlich bei einer politischen Führung möglich?
Das Perfekte können wir nie erreichen, aber die Annäherung schon. Dass wir die falschen Führer haben wirft die Frage auf, ob es keine richtigen Führer gibt. Aber die gibt es schon, wir haben nur das falsche Ausleseverfahren. Bis einer Politiker geworden ist, muss er eine ganz bestimmte Laufbahn eingeschlagen haben. Das liegt also auch am System, wie auch an den extrem polarisierenden Medien. Da fehlt die Achtung, die Liebe, die Verehrung. Und das „Es gut Meinen“ ist noch nicht die Befähigung. Man darf auch nicht vergessen, dass früher die Menschen viel mehr Obrigkeitsbewusstsein gehabt haben. Da wurde ein König zum Beispiel geliebt. In Marokko ist das heute noch so – der König wird geliebt. Auch die Queen ist eine starke Persönlichkeit. Es mangelt demnach sowohl an Persönlichkeiten, wie auch an der Einstellung der Menschen und deren Ablehnung jedweder Hierarchie. Das permanente nivellieren Wollen, das Gleichmachen, ist wider der Natur. Die Natur bringt Ungleichheiten hervor.
Denkst Du, es ist tatsächlich möglich, immer alles mit Liebe zu tun? Gibt es nicht Momente – zum Beispiel klagt ein Rechtsanwalt gegen einen oder der Partner hintergeht einen – in denen das nahezu nicht möglich ist?
Theoretisch ist es möglich, praktisch, wenn man nicht gerade Buddha ist, nicht. Möglich ist es, wenn wir nicht in unsere Widerstandsseite verfallen. Aber nachdem wir nicht perfekt sind, ist es nicht möglich. „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“, sagen die Engel in Goethes Faust.
Warum ist Lieben heute so schwer geworden?
Wenn man sich verliebt, macht man sich von dem anderen ein Bild. Aber dieses Bild entspricht dem anderen gar nicht. Man nimmt in seiner Verliebtheit den anderen gar nicht so wahr, wie er wirklich ist. Das Bild steht folglich zwischen einem selbst und dem anderen und muss dann enttäuscht werden. Das passiert in dem Tempo und Maße, wie das Verliebtsein sich langsam auflöst. Anschließend wendet man sich ab, weil man plötzlich Defizite oder ganz andere Qualitäten beim anderen wahrnimmt, die man gar nicht annehmen möchte oder sich nicht gewünscht hat. Man verliebt sich demnach nicht in die Person, die man da vor sich hat, sondern in das Bild, in das man so einiges hineinprojiziert. In der Folge kann aus dem Verliebtsein dann natürlich auch keine Liebe entstehen.
Es sind also die Erwartungen, die Liebe nicht zulassen?
Erwartungen stehen immer im Weg. Sie sind ein Killer der Zufriedenheit. Letztendlich müsste bei Begegnungen die staunende Unbefangenheit eines Kindes in einem sein. Man müsste ganz einfach dem Menschen begegnen. Nicht verkopft und verplant, nicht verkrampft und ganz ohne Berechnung.
Denkst Du, Beziehungen zu Menschen im Allgemeinen sind vorbestimmt?
Eine gemeine Frage! Wieviel Prozent meines Schicksals sind eigentlich vorbestimmt und habe ich überhaupt eine Freiheit und wenn ich eine Freiheit habe, welche Dimension hat diese Freiheit? Es gibt die Gene, die Erziehung, das Land, in dem ich aufwachse und lebe, die Psyche, die Schule, Eltern, Kultur, den Zeitpunkt, an dem man geboren ist. Es gibt also ein unendliches Spektrum, was hier hineinspielen kann. Professor Weinreb hat geschrieben: das Leben ist 100 Prozent frei und 100 Prozent determiniert. Das ist natürlich eine Antwort, die den modernen, intellektuellen Menschen nicht befriedigt, weil er sagt, es gibt nur 100 Prozent und nicht 200 Prozent. Die Tiefe der Aussage ist wohl die, dass das Denken des Menschen, sein Handeln, seine Wünsche, seine Hoffnungen und sein Glaube da auf der einen Seite hineinspielen, auf der anderen Seite die Vorsehung, die man Schicksal nennt, da aber auch hineinspielt. Es ist also alles möglich und es kann alles möglich sein. Dass man jemanden in einem bestimmten Moment kennenlernt, ist vielleicht Vorsehung. Kann sein, muss aber nicht sein. Es ist in jedem Moment möglich, dass einen etwas ereilt, das mit dem persönlichen Handeln nichts zu tun hat. Es kann aber auch sehr gut möglich sein, dass das persönliche Denken, Handeln und Glauben etwas hervorbringen, das ohne das persönliche Denken, Handeln und Glauben nicht hervorgebracht worden wäre. Es gibt hier keine befriedigendere Antwort. Wenn man mitten in der Entwicklung steht, sieht man diese nicht. Im Rückblick wird die Klarheit, die man im Prozess überhaupt nicht sehen kann, deutlich.
Das würde bedeuten, man kreiere nicht, sondern erfülle nur einen größeren Plan.
Die Antwort ist eine Paradoxie. Aus meiner Sicht bin ich frei den Plan zu entwerfen und zu entscheiden. Aus Sicht einer übergeordneten Betrachtung, da wo die Zeit nicht fließt, wo Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft eins sind, ist vielleicht alles schon vorgesehen, demnach Vorsehung. Natürlich ist alles schon in einer gewissen Weise angelegt. Die Fähigkeit besteht darin zu erkennen, was angelegt ist und dann in dieser rechten Weise zu handeln, um das zu befreien, was angelegt ist oder zu entscheiden, was man besser lässt. Der Unterschied zwischen schöpferischem Handeln und einem Macher ist, dass der eine etwas befreit, was eigentlich schon da ist und der andere in etwas sein Ego einprägt. Wie man ein Siegel einprägt oder ein Brandzeichen. Das ist kein kreativer Vorgang, sondern ein Dokument der Machtausübung. Kreieren statt Machen ist die Devise.
Auf was hoffst Du persönlich in Sachen Liebe?
Ich hoffe auf den Sinn. Und dass ich so geliebt werde, wie ich bin. Und ich hoffe, dass ich mich so angenommen fühlen kann, wie ich bin. Ich hoffe, dass ich kein anderer sein muss, um geliebt zu werden. Übertragen auf alles.
Autorin, Interview und Foto: Elke Bauer