Aktuell ist er auf Netflix bei Lincoln Lawyer zu bestaunen: Christopher Gorham. Denn was wäre die Welt ohne die geliebten Serien.
Auch in "Insatiable" war er in der Hauptrolle zu sehen, in der US-Erfolgsserie "Covert Affairs", in "Full Circle" oder in den SyFy-Serien "The Magicians" und "2 Broke Girls". Denn gab es früher einige wenige ganz große Schauspieler in Hollywood, die dann auch von der ganzen Welt gekannt und verehrt wurden, hat sich durch den Boom an Serien, Fernsehproduktionen und Filmen heutzutage das Feld an großen Talenten drastisch erweitert. Eine Riesenchance für Mitwirkende vor und hinter der Kamera.
Und galt es früher sich zwischen Film und Fernsehen entscheiden zu müssen, so darf heute alles auf's Tagesprogramm, was überhaupt noch zu realisieren ist. So spielt auch Gorham nicht nur in Serien. Sein Spielfilmdebüt gab er in "A Life Less Ordinary" des renommierten Regisseurs Danny Boyle mit Ewan McGregor und Cameron Diaz. Im direkten Kontrast dazu sah man ihn an der Seite von Anne Hathaway als Missionar in Tonga in dem Film "The Other Side of Heaven" von Produzent Gerald Molen. Fortsetzung folgt. An der Seite von Liv Tyler trat er auf, mit Patrick Wilson und Terrence Howard in "The Ledge" und 2011 in drei weiteren Independent-Filmen in den Hauptrollen: "Answer This!", "My Girlfriend's Boyfriend" und "Somebody's Hero". Und als er den Vaters eines Kindes mit Autismus in dem Independent-Film "A Boy Called Po" von Regisseur John Asher spielte, wurde gleich der ganze Film beim Palm Beach International Film Festival 2016 als bester Spielfilm ausgezeichnet. Daneben spielt er in zahlreichen Fernsehproduktionen, steht auf der Bühne und führt bei zahlreichen Filmen und Produktionen auch Regie. Die große Liste seiner Arbeiten würde uns hier den Rahmen sprengen.
Christopher Gorham. Bestimmt nicht sein Nachteil, dass er auch noch hervorragend aussieht. Doch wer sich jetzt Hoffnungen macht: Er ist mit einer bildhübschen Frau, ebenfalls Schauspielerin, Anel Lopez Gorham, verheiratet und hat zwei Söhne. Na, dann legen wir mal los und schauen uns den Alleskönner und Tausendsassa genauer an!
Wenn Sie sich selbst und all das, was Sie erreicht haben betrachten, was würden Sie sagen – was ist Ihre innere Bestimmung?
Ich denke gerne, dass ich die Welt um mich herum auf eine überwiegend positive Weise beeinflusse. Was bedeutet das? Im Großen und Ganzen ist es für mich als Künstler erfüllend zu wissen, dass meine Arbeit den Menschen auf der ganzen Welt eine emotionale Flucht aus ihrem Alltag ermöglicht und ihnen die Möglichkeit gibt, sich selbst in einem Film oder einer Fernsehsendung wiederzufinden und sich in Empathie zu üben. In meinem persönlichen Leben ist es mein Ziel, meine Kinder zu beschützen und ihnen zu helfen zu Erwachsenen heranzuwachsen, die sich selbst und die Menschen um sie herum lieben und respektieren.
Denken Sie wirklich, dass durch Fernsehen Empathie geschult werden kann?
Es werden Geschichten erzählt und das Geschichtenerzählen hat eine lange Kultur. Es ist nicht so sehr wie ein Unterricht im Klassenzimmer, dass man direkt etwas lernt, es geschieht vielmehr unterbewusst. Man muss mit einer Figur des Filmes oder jeder Fernsehsendung mitfühlen, sonst wird man wohl den Kanal wechseln.
Sie möchten also vorrangig Empathie erwecken, mit Ihrem Schauspiel?
Man schlüpft ja in eine Rolle und bewegt sich eine zeitlang in ihr. Und da möchte man natürlich, dass das Prublikum genau das Gleiche macht. Sich auch mit auf dieser emotionalen Reise bewegt. Ich möchte also Einfühlungsvermögen erwecken. Ohne Empathie spalten sich unsere Gemeinschaften in "wir" und "sie", und wenn man sich erst einmal dazu durchgerungen hat, dass "sie" anders sind als "wir", wird Gewalt leichter und Heilung viel schwieriger.
Bei was entfalten Sie Ihre größte Wirkung?
Die größte Wirkung habe ich natürlich auf meine Kinder. Ob zum Guten oder zum Schlechten! Hoffentlich meistens zum Besseren. Ehrlich gesagt glaube ich, dass die meisten von uns nicht wirklich verstehen, wieviel Einfluss wir auf das Leben anderer Menschen haben. Am effektivsten können wir unser Leben und unsere Gemeinschaft natürlich gemeinsam beeinflussen. Aber wir werden natürlich von Kindesbeinen an geschult zwischen Menschen oder Nationalitäten zu unterscheiden. Und das trennt uns voneinander. Aber Menschen sind Menschen, auch wenn sie aus verschiedenen Kulturen stammen. Es wäre besser, zu verstehen, dass wir doch alle zusammengehören und miteinander verbunden sind. Dass wir alle die gleichen Chancen verdient haben.
Wenn Sie als Schauspieler eine Rolle spielen müssen, wie zum Beispiel in Lincoln Lawyer einen Mörder, der zunächst mit dem Mord davonkommt – wie schaffen Sie es da, wieder aus der Rolle herauszukommen? Oder bleibt immer ein bisschen schlechtes Gewissen in der Seele, weil man es auf eine bestimmte Weise "selbst" erlebt hat? Kann man nach so einer Rolle jemals wieder ganz "unschuldig" sein, wenn man so tief in ein menschliches Dasein hinabgestiegen ist?
Das ist interessant, wie Sie diese Frage stellen. Ich fühle mich nur dann "schuldig" an meiner Leistung, wenn sie nicht sehr gut ist. Ha! Die Wahrheit ist, dass es nichts gibt, was eine gut geschriebene Figur tun würde, was eine andere Person unter den gleichen Umständen nicht auch tun würde. Wir verwenden Begriffe wie "Gutmenschen" und "Bösewichte", um eine Geschichte zu erzählen, aber ein gut geschriebener "Bösewicht" sieht sich selbst nicht als solcher. Trevor, in Lincoln Lawyer zum Beispiel, hat das Gefühl, dass er getan hat, was er tun musste. Und das war übrigens für ihn nicht einfach. Er hat einen hohen Preis dafür gezahlt, dass er seine Sucht seiner Frau vorgezogen hat – noch bevor er den ultimativen Preis gezahlt hat – und ich würde sicherlich nie die gleiche Entscheidung treffen wie er, aber ich bin durchaus in der Lage, mir seine Umstände vorzustellen und dann so zu tun, als ob ich es getan hätte. In gewisser Weise finde ich es außergewöhnlich, dass ich emotional auf Reisen gehen kann und Dinge erkunden kann, die ich in meinem eigenen Leben wahrscheinlich nie erleben werde. Letzten Endes ist das alles nur gespielt – und es steht im Dienste einer Geschichte, die das Mitgefühl des Publikums wecken soll, was ich für ein ehrenwertes Unterfangen halte.
Am Ende kommt Trevor in Lincoln Lawyer aber nicht mit dem Mord davon. Jemand begeht Selbstjustiz. Glauben Sie, dass es im wirklichen Leben ähnlich ist, denken Sie, dass es eine ausgleichende Gerechtigkeit gibt?
Nein. Ich glaube, das meiste, was wir "Gerechtigkeit" nennen, ist in Wirklichkeit Rache. Ich glaube, Gewalt erzeugt ein Trauma und dieses Trauma wird entweder geheilt oder ist der Auslöser für weitere Gewalt. Wenn Sie zum Beispiel der Meinung sind, dass Trevor das bekommen hat, was er verdient hat, als er ermordet wurde, würde ich argumentieren, dass Sie die Tatsache ignorieren, dass die Frau, die ihn erschossen hat, jetzt wahrscheinlich Jahre im Gefängnis verbringen wird, ebenso wie das Trauma, das allen Anwesenden zum Zeitpunkt der Schießerei zugefügt wurde. Hatten sie das verdient? Hätte Lara das gewollt? Es ist kompliziert. Schauen Sie sich unser Land an: Es ist hinlänglich bekannt, dass Jungen, die ohne Vater aufwachsen, als junge Erwachsene weitaus häufiger straffällig werden, und dennoch sperren wir mehr Väter weg als jedes andere Land der Welt und schaffen im Namen der Gerechtigkeit vaterlose Zuhause. Ich denke, wir müssen unsere Geschichten rund um die Idee der Gerechtigkeit verbessern, ebenso wie unsere öffentliche Politik.
Aber keine Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, ist sehr modern. Die Menschen denken oft nur an sich selbst, und alles Denken basiert auf ihren eigenen Erfahrungen. Wie könnten wir das ändern? Können Filme und Serien hier etwas ändern? Sie?
Ich denke, keine Verantwortung übernehmen zu wollen ist überhaupt nichts Modernes. Es ist so alt wie die Menschheit. Ich denke Menschen fühlen heute eher keine Zugehörigkeit, keine Gemeinschaft. Die sozialen Zwänge sind teilweise so groß, dass das Individuum sich hier verlieren kann. Und Individuen nur wegzusprerren, wenn sie auf den falschen Weg gekommen sind, ändert, denke ich, nicht wirklich etwas zum Besseren. Denn dann basteln wir nur an den Folgen herum. Aber alles, was im Vorfeld passieren muss, dass jemand so weit kommt, muss unser Lösungsansatz sein. Wir müssen die Ursachen dafür herausfinden. Diese Fehler im Vorfeld müssen wir betrachten und ganz am Anfang ansetzen, um die Dinge verbessern zu können.
Lassen Sie uns mal über Marketing sprechen. Sind große Schauspieler wirklich immer große Talente oder ist da viel Marketing im Spiel? Wer entscheidet, ob sie große Talente sind, die Verkaufszahlen ihrer Filme und Serien?
Zunächst einmal ist gutes Schauspiel, wie auch gute Malerei, subjektiv. Und manche Schauspieler werden sehr gemocht, weil man ihre Persönlichkeit mag, unabhängig von ihrem Spiel. Aber wenn wir uns darüber einig sind, was gute Schauspielerei ist, dann ist gutes Marketing nicht das, was sie gut macht – es ist nur das, was sie berühmt macht.
Es wirkt heutzutage gerne mal so, dass Hollywood immer als äusserst sozial gehalten werden möchte, in dem, was es in Filmen mitteilt. Ist Hollywood wirklich so sozial eingestellt?
Hier müssen wir zwischen dem Unternehmen Hollywood und den Künstlern unterscheiden. Natürlich ist das Unternehmen extrem umsatzorientiert. Die Künstler aber sind tatsächlich im Allgemeinen sehr sozial eingestellt. Wie das bei Künstlern eben gerne so ist. Man möchte durchaus Möglichkeiten, Lösungen und soziale Veränderungen aufzeigen.
Aber Werte können auch vergessen werden, zum Beispiel wenn wir sie für selbstverständlich halten. Halten Sie Werte für selbstverständlich?
Tun wir das nicht alle, auf irgendeiner Ebene? Es liegt in der menschlichen Natur, das, was man hat, für selbstverständlich zu halten. Deshalb ist Disziplin so wichtig, ganz gleich, worauf man sie anwendet – Werte, Bewegung, Haushalt, Investitionen, sogar Wahlen. Disziplin ist das, was einen auf Kurs hält.
Sind Sie sehr selbstkritisch?
Ich kann durchaus selbstkritisch sein. Aber ich denke, eine der Lebenskompetenzen, die ich mir angeeignet habe und die mir wirklich geholfen hat, ist die Fähigkeit, freundlich zu mir selbst zu sein. Das ist ein Ratschlag, den ich häufig gebe – ich erinnere die Menschen daran, freundlich zu sich selbst zu sein. Wir tun unser Bestes bei allem und wenn man nicht sein Bestes geben kann – dann sollte man das ehrlich sagen und es vielleicht noch einmal versuchen. Vergebung ist so wichtig für die psychische Gesundheit, aber zuerst muss man in der Lage sein, sich selbst zu verzeihen.
Und sich selbst zu lieben? Sie sehen ja nicht schlecht aus und können auch so einiges. Viele Menschen finden Sie toll. Sind Sie auch in sich selbst verliebt?
Bitten Sie bitte nicht meine Frau, diese Frage für mich zu beantworten. Ha! Ich liebe mich schon, ja. Ich bin nicht so narzisstisch, dass ich nicht in der Lage wäre, meine Fehler anzuerkennen, aber ich bin auch nicht so weit entwickelt, dass ich sie nicht manchmal bequemerweise ignoriere. Aber ich habe wirklich das Geschenk aus meinem Elternhaus erhalten, selbstbewusst zu sein. Das ist ein großer Vorteil, ein enormes Privileg und ein großes Glück, wenn man sich hier nicht zu sehr mit der eigenen Anerkennung herumplagen muss.
Wie sind Sie denn nach Hollywood gekommen, was das schwierig?
Ich hatte in der UCLA in der Abschlussklasse einen Showact und wurde da tatsächlich entdeckt. Und dann ging alles ganz schnell. Es kann also sehr schwer sein – für mich war es denkbar leicht. Natürlich arbeitete ich hart, natürlich bin ich sehr diszipliniert aber ich sage auch – ganz großes Glück.
Photography: Theo & Juliet
Interview: Elke Bauer